Ich spreche ausschließlich von „Tätern“. Mir ist bewusst, dass auch Frauen sexualisierte Gewalt ausüben und dies weit häufiger als angenommen. Der prozentuale Anteil ist allerdings so gering, so dass die Realität verzerrt würde, spräche ich von Täter_innen.

Mir ist die damit einhergehende Problematik bewusst, dass sich einige, die Gewalt durch Frauen erlebt haben, unsichtbar fühlen können.
Ich bin mit der jetzigen Lösung auch nicht wirklich zufrieden, sie erschien mir aber als das kleinere Übel.

Sonntag, 12. Januar 2014

Die Instrumentalisierung und Relativierung sexualisierter Gewalt innerhalb der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung


Eine gekürzte Version dieses Textes ist im Dezember in der Zeitschrift Tierbefreiung (Nr. 81) erschienen.

Inhaltswarnung: Thematisierung sexualisierter Gewalt. Ausschreibung des Wortes V*rg*w*lt*g*ng.
 
Sexualisierte Gewalt ist keine gesellschaftliche Randerscheinung. Sexualisierte Gewalt ist allgegenwärtig. Je nach dem, wie eng oder weit die Definition des Begriffes gefasst ist, ist jede 4. bis 5. Frau und jeder 7. bis 9. Mann von sexualisierter Gewalt in der Kindheit betroffen[1] und jede 7. Frau erlebt sexualisierte Gewalt ab dem 16. Lebensjahr[2]. Viele sind auch mehrfach betroffen. Es geht um Verbrechen, die jeden Tag in der Mitte unserer Gesellschaft stattfinden und zwar in sehr vielen Fällen folgen- und straflos für die Täter.

Ich habe ab meinem 7. oder 8. Lebensjahr über mehrere Jahre sexualisierte Gewalt durch meinen Stiefvater erlebt. Ich schreibe also nicht stellvertretend für Betroffene, sondern als persönlich Betroffene. Das erste Mal wurde ich im Frühjahr 2007 mit einem dieser Vergleiche, zwischen Tierausbeutung und sexualisierter Gewalt, konfrontiert und es hat fünfeinhalb Jahre gedauert, bis ich es erstmals schaffte, das Thema anzusprechen. Das war im September 2012.

Ich gehe davon aus, dass den meisten, die Vergewaltigungsvergleiche verwenden, weder bewusst ist, wie tief verletzend diese Vergleiche sind (es geht hierbei nicht um Kritik am Mensch-Tier-Vergleich), noch was diese Vergleiche auslösen können oder wie groß die Dimension sexualisierter Gewalt in unserer Gesellschaft ist. Ich hoffe, mit diesem Artikel für das Thema sensibilisieren zu können. Mir geht es nicht darum anzuprangern, sondern um die Bewusst- und Sichtbarmachung von Leid und erneuter Traumatisierung, die damit unbeabsichtigt ausgelöst werden.

Sexualisierte Gewalt als gesellschaftliches Phänomen

Besonders kennzeichnend im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt an Kindern ist die euphemistische Sprache, sowohl im alltäglichen Sprachgebrauch, als auch in den Medien. Es ist von MISSbrauch die Rede, so als gebe es auch einen nicht missbräuchlichen GEbrauch von Kindern. Auch wenn dieser Wortlaut sich so im Strafgesetzbuch findet, ist er stark bagatellisierend, relativierend und vertuschend, da die zugrunde liegenden Verbrechen nicht beim Namen genannt werden. Die gleichen Verbrechen an Erwachsenen heißen Vergewaltigung und sexuelle Nötigung. Dies ist vergleichbar mit den beschönigenden Bezeichnungen für das Ermorden von Tieren:
Schlachten, Keulen, Schächten etc., im Höchstfall Töten. Häufig wird die Bezeichnung „Kinderschänder“ gebraucht. Schänden kommt von Schande über jemanden bringen und wird umgangssprachlich synonym verwendet für entehren, entweihen, beschmutzen, besudeln. Sexuelle Nötigung und VerGEWALTigung sind Gewaltverbrechen und sollten beim Namen genannt werden.

Ich kann zwar nur für mich sprechen, weiß aber aus Erfahrung (Therapien, Selbsthilfegruppen), dass „wir Betroffenen“, so unterschiedlich wir sind, in vielem sehr ähnliche Empfindungen haben, wenn es um die Banalisierung und Relativierung sexualisierter Gewalt geht. 

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Einige Beispiele aus der Tierrechtsbewegung


Einige Beispiele aus der Tierrechtsbewegung

Auf der Internetpräsenz einer Tierrechtsgruppe findet sich folgender Satz:

Genauso wenig wie zum Beispiel dieHumanisierungvon Tierversuchen zu ihrer Abschaffung führt, so hätte die Zulassung vonsanfter Vergewaltigungoderhumaner Sklavereizu deren Abschaffung geführt.“

Ich finde es ekelhaft und widerlich, von „sanfter VerGEWALTigung“ zu sprechen. Obendrein ist Vergewaltigung nichts, das abgeschafft werden könnte. Vergewaltigung steht lediglich unter Strafe. Vergewaltigung in der Ehe wurde übrigens erst 1997 ins Strafgesetzbuch aufgenommen, ebenso die Vergewaltigung von Männern. Betroffene Männer konnten vorher allenfalls Strafanzeige wegen sexueller Nötigung stellen. Auch Sklaverei existiert weltweit noch immer, obschon ein Verbot der Sklaverei 1948 in die Menschenrechtserklärung der UN (Artikel 4) aufgenommen wurde. Bei Aussprüchen wie „sanfter Vergewaltigung“ sollte auch bedacht werden, dass traumatisierte Menschen oftmals nur bestimmte Schlagwörter wahrnehmen, und im Kopf kann eine Flut von Bildern, Gefühlen und Gerüchen explodieren. Das ist so ähnlich wie in Katastrophenfilmen, wenn ein Störfall in einem Reaktor auftritt. Eine rote Lampe blinkt, eine Sirene heult, alle Rollläden gehen runter, die Türen schließen automatisch und lassen sich manuell nicht mehr öffnen. Es gibt kein Rein und kein Raus mehr. So ähnlich sieht es im Kopf aus. Es gibt nur noch ALARM ALARM ALARM.

Ein anderer Aspekt dieser Aussage ist, dass es für die Opfer einen gewaltigen Unterschied macht, ob eine Vergewaltigung „sanft“ oder „brutal“ stattfindet. Dies mag zunächst widersprüchlich klingen. Es gibt Menschen, die sich aktuell in Situationen befinden, in denen sie regelmäßig vergewaltigt werden, und aus denen sie sich (zumindest derzeit) aus verschiedenen Gründen nicht befreien können. Weil sie Kinder oder Jugendliche sind, weil sie vom Täter bedroht werden oder der Täter droht, im Falle einer Trennung die Kinder zu ermorden. Manche dieser Menschen werden mit unglaublicher Brutalität vergewaltigt und sie wären froh, wenn es dabei „sanft“ – oder besser – „weniger brutal“ zuginge. Das mag für Nichtbetroffene paradox und widersprüchlich klingen, aber Menschen in Gewaltsituationen, aus denen sie sich (aktuell) nicht befreien können, tun alles, um das Übel wenigstens ein bisschen erträglicher zu machen. Und es ist zudem ein gewaltiger Unterschied, ob eine solche Aussage von Betroffenen aus der Betroffenenperspektive kommt oder von Nichtbetroffenen, die das Thema instrumentalisieren. Ich hätte die Gruppe gerne angesprochen. Wegen schlechter Erfahrungen in der Vergangenheit, meist in Form unsensibler oder aggressiver Antworten, und weil ich Angst hatte, wieder verletzt zu werden, habe ich davon abgesehen.

Auch Gary Francione verwendet in mehreren seiner Texte Vergewaltigungsvergleiche. Ein Beispiel:

Es istbesser, wenn ein Vergewaltiger das Vergewaltigungsopfer nicht prügelt, aber das macht Vergewaltigung ohne Prügel nicht moralisch akzeptabel oder eine Kampagne fürhumaneVergewaltigung zu etwas, das wir tun sollten.[3]

Francione erkennt zwar immerhin, dass esbesser(für das Opfer) ist, wenn das Opfer nicht geprügelt wird. Dennoch stellt er seine Moral über diese Erkenntnis und verweigert sich der Opferperspektive. In einer Situation, in der es einzig darum geht, die Situation mit möglichst geringem physischen und psychischen Schaden zu überstehen, sind solche Fragen nachrangig. Aus seiner privilegierten Position einesmutmaßlichNichtbetroffenen klingt Francione anmaßend und selbstgerecht. Ähnliche Vergleiche zieht Francione mit Folter und Sklaverei. Bei seinen Vergleichen verweist Francione kein einziges Mal auf Aussagen von Betroffenen (wie es die Anhänger_innen von Holocaust-Vergleichen meist tun). Im Gegensatz zu Tieren könnten die Betroffenen zwar für sich sprechen, Francione aber hielt es offenkundig nicht für notwendig, sie nach ihrer Meinung zu fragen. Diese Meinung könnte dann freilich nicht pauschalisierend auf alle Betroffenen übertragen werden, sondern würde, genau wie bei Holocaustvergleichen, nur für jene gelten, die diese Aussagen getätigt haben. Insbesondere steht es Nichtbetroffenen nicht zu, Holocaustvergleiche anzustellen und Betroffene, die verletzt sind, mit dem Verweis darauf zum Schweigen bringen zu wollen, dass andere Betroffene diese Vergleiche auch anstellen. Wenn persönlich Betroffene das tun, ist das etwas völlig anderes. Augenscheinlich aber wurde von Francione nicht einmal der Versuch unternommen, mit Betroffenen zu sprechen.

Kommunikation ist das, was ankommt

Es geht nicht darum, was Francione tatsächlich meint, sondern um das, was (bei mir) ankommt. Was Francione tatsächlich meint, ist an dieser Stelle irrelevant, denn ich kann nicht wissen, was er meint, wenn ich einen solchen Vergleich höre. Auch wenn sich dieser erste Eindruck bei einer intensiveren Auseinandersetzung mit Franciones Texten verändern würde, ändert dies nichts daran, wie diese Aussage zunächst ankommt. Ich erwähne Francione, da Kritik an Vergewaltigungsvergleichen häufig durch den Verweis auf Francione verteidigt wird. Dadurch, dass Francione diese Vergleiche anwendet, werden sie jedoch nicht richtig oder weniger verletzend.

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Gary Yourofsky - „V*rg*w*lt*g*ng als Strafe“


Gary Yourofsky - „Vergewaltigung als Strafe“

Der vor allem in Nordamerika, aber auch in Deutschland, bekannte Gary Yourofsky, propagiert Vergewaltigung als Strafe. So schrieb Yourofsky in seinem TextWhat You Give Is What You Should Get“ [4] und sagte in einem Interview 2005 in einem Interview inAbolitionist online“ [5].

Every woman ensconced in fur should endure a rape so vicious that it scars them forever. While every man entrenched in fur should suffer an anal raping so horrific that they become
disemboweled."

(Jede in Pelz gekleidete Frau sollte eine so böse Vergewaltigung erleben, dass sie für immer von den Narben gezeichnet ist und jeder Mann in Pelz sollte eine so entsetzliche anale Vergewaltigung erleiden müssen, dass er ausgeweidet wird.)

Im Jahr 2011 in einem Arzone Interview [6] darauf angesprochen sagte Yourofsky:

"NO regrets. Humans are the scum of the earth.“

(Diese Aussage bereue ich nicht. Menschen sind der Abschaum der Erde.)

Auch wenn es im Sinne einer falsch verstandenen Geschlechtergerechtigkeit ist, wenn Yourofsky fordert, dass auch Männer vergewaltigt werden sollen, ist seine Forderung dennoch eine zutiefst sexistische, denn in der Realität werden in der Regel Frauen vergewaltigt - von Männern. Und wenn Männer vergewaltigt werden, sind die Täter in der Regel ebenfalls männlich. Hier wird ein klischeebesetztes Bild von Männern als Rächer und Bestrafer vermittelt und Sexualität als Strafe und Mittel zur Disziplinierung. Der vergewaltigende Mann wird, zumindest teilweise, aus seiner Schuld entlassen. Schließlich trägt die Frau Pelz und somit zumindest eine Mitschuld, so wie sie auch selber Schuld ist, wenn ihr Rock zu kurz oder sie nachts alleine unterwegs war. Gründe, warum Frauen es „verdienen“ vergewaltigt zu werden, finden sich immer. Überdies macht es aus Tierrechtssicht keinen Unterschied, ob Pelz oder Leder getragen wird. Das erinnert an die sogenannten korrigierenden, bzw. „heilenden" Vergewaltigungen an Lesben in Südafrika. [7] Gewalt als Mittel der Wahl zeugt zudem von einem unterdrückerischen, autoritären, antiemanzipatorischen Charakter.

Yourofsky ist auf der Presse- und Informationsplattform über die Aktivitäten nordamerikanischer Aktivist_innen [8] der Animal Liberation Front (ALF) als Ansprechpartner aufgeführt. Eine Email an das Pressebüro mit Hinweis auf Yourofskys Aussagen und darauf, dass diese den Leitlinien der ALF [9] widersprechen, die ausdrücklich jede Gewalt gegen menschliche und nichtmenschliche Tiere ablehnen, blieb unbeantwortet. Da ich vermutlich nicht die erste war, die sich diesbezüglich an das Pressebüro gewandt hat, hatte ich zumindest mit einer Standardantwort gerechnet. Dort wird nicht nur ein Mensch geduldet, der derartige Aussagen getätigt hat, sondern auch keinen Anlass sieht, sich von diesen Aussagen zu distanzieren. Was Yourofsky sonst leistet oder geleistet hat, ist irrelevant, sonst könnte man auch mit der totalitären Sekte Universelles Leben paktieren, denn die machen auch viel für Tiere.

Man darf Vergewaltigung nicht mit Vergewaltigung aus Rache verwechseln“

Ein_e Anhänger_in Yourofskys rechtfertigte mir gegenüber dessen Aussagen. Der Mailwechsel gipfelte darin, dass die Person mir schrieb: 

“Du darfst nicht den Denkfehler begehen Vergewaltigung mit Vergewaltigung aus Rache zu verwechseln.“ 

Die Person erwähnte in unserem Mailverkehr, „Vergewaltigungsopfer“ zu kennen und dass diese den Tätern nichts Gutes wünschten, und wenn man Vergewaltigung aus Rache gutheiße, dann um die Opfer zu beschützen und als Abschreckung.

Viele Betroffene haben in der Tat Rachephantasien und wünschen dem Täter nichts Gutes. Ich persönlich fände die Todesstrafe für meinen Stiefvater viel zu human. Tote können nicht leiden, daher würde ich ihm lebenslange Folter wünschen. Das ist aber meine persönliche Meinung zu meinem Stiefvater und kein Standpunkt, den ich offiziell vertreten würde. Mir ist weder eine Betroffenenorganisation bekannt, die derartige Forderungen stellen würde, noch ist das in Betroffenen-Foren im Internet ein Thema. Betroffene interessieren sich allgemein eher weniger für die Täter, sie wollen ihnen nicht noch mehr Raum in ihrem Leben geben. Betroffene sind viel mehr mit ihrem (Über)Leben im Hier und jetzt beschäftigt, in einer Gesellschaft, die sie weitgehend alleine lässt. Forderungen nach der Todesstrafe oder allgemein „Rache“ kommen (fast) ausschließlich aus der konservativen, reaktionären und rechtsradikalen Ecke. Dies ist eine der Strategien, mit denen Nazis versuchen in der Mitte der Gesellschaft Fuß zu fassen. Die Beratungs- und Kontaktstelle Zartbitter e.V. wurde von Betroffenen auf Unterwanderungsversuche durch Nazis angesprochen und hat dazu eine Stellungnahme verfasst[10]. Von der Amadeu-Antonio-Stiftung gibt es ebenfalls eine Broschüre zum Thema. 

Die Antifa Gruppe 5 aus Marburg, hat einen Text veröffentlicht, in dem anhand eines Beispiels aufzeigt wird, wie das Thema in Marburg von der örtlichen CDU und Rechten instrumentalisiert wurde. Leider ist der Text, wie die meisten zu diesem Thema, ausschließlich täterfokussiert. Die Betroffenen sexualisierter Gewalt, werden nicht erwähnt. Auch wenn es in diesem Beispiel konkret um die Instrumentalisierung geht, wäre es doch wünschenswert, wenn auf die desaströse Situation Betroffener,  zum Beispiel was Therapien angeht, hingewiesen würde. Dennoch finde ich den Text sehr lesenswert. 

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Sprachgebrauch in (Foren)Diskussionen


Sprachgebrauch in (Foren)Diskussionen

Im Streit um Sinn oder Unsinn von Reformen oder auch wenn es um die Toleranz des Verhaltens von Fleischesser_innen geht, geht, sind mir häufig folgende oder ähnliche Fragen begegnet:

Würdest du das auch sagen, wenn es um „Kinderschänder“ ginge.“

oder

Was haltet ihr davon wenn ein frustrierter Ehemann seine Frau nur noch 2x pro Monat brutal vergewaltigt, anstatt dies jedes Wochenende zu tun?“


Niemand der oder die weiß, was es heißt vergewaltigt zu werden, würde eine solche Frage stellen.

Was (bei mir) ankommt ist: Eine Person, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Ahnung hat, wovon sie spricht, erzählt (mir), dass es egal wäre, ob ich zweimal oder viermal im Monat vergewaltigt werde. Es ist aber nicht egal und für mich unvorstellbar, dass jemand, der oder die eine Vergewaltigung erlebt hat, das sagen würde.

Was gemeint ist und was ankommt

Im Laufe der Auseinandersetzung mit dem Thema im Rahmen des Artikels habe ich erstmals mit (von sexualisierter Gewalt) Nichtbetroffenen intensive Gespräche geführt und festgestellt, wie sehr sich meine Perspektive als Betroffene von der Perspektive Nichtbetroffener unterscheidet und Nichtbetroffene vieles nicht nachvollziehen können. Bis Ende 2012 war mir die eigentliche Absicht hinter solchen Aussagen überhaupt nicht bewusst, nämlich dass mit diesen Vergleichen herausgestellt werden soll, wie absurd die Forderung einer Verbesserung von etwas ist, das an sich unhaltbar ist. Für mich ist sexualisierte Gewalt aber nichts Absurdes, sondern völlig „normal“. Normal nicht im Sinne von richtig, sondern als konkreter Teil meiner Lebensrealität für viele Jahre, und sie wird mit der Aufarbeitung und Auseinandersetzung voraussichtlich für immer Teil meiner Lebensrealität bleiben.

Das Sein bestimmt das Bewusstsein

Die Weigerung das Grauen, egal ob es um Massentierhaltung oder misshandelte Kinder geht, wenigstens ein bisschen einzudämmen oder die Situation der Leidenden etwas erträglicher zu machen, erschien mir als unterlassene Hilfeleistung, grausam und obendrein zynisch.

Mittlerweile weiß ich, dass die „andere Seite“, Forderungen nach Verbesserungen als ebenso zynisch empfindet.

Wenn meine Mutter meinen Stiefvater dazu hätte bewegen können, mich an bestimmten Tagen in Ruhe zu lassen, wenn sie es schon nicht hat verhindern können, dann hätte das meine Situation deutlich verbessert. Sexualisierte Gewalt und Mütter und/oder andere Verwandte, die schweigen oder so tun, als würden sie nichts mitbekommen, sind in meiner Lebensrealität nichts Außergewöhnliches, sondern die Norm. Selbst wenn der Täter in flagranti ertappt wird, ist es nicht ungewöhnlich, wenn die Familie zwei Stunden später beim Abendbrot sitzt und so tut, als wäre nichts gewesen. Eine der Personen, mit denen ich mich ausgetauscht hatte, fragte:

Würde der Missbrauch dann tatsächlich erträglicher werden? Würde das Kind dann nicht jedes Vertrauen in Menschen verlieren, weil ihm letztendlich keiner wirklich hilft?“

Ja, es würde erträglicher werden. Vertrauen in Menschen ist ohnehin kaum vorhanden und es würde noch weiter zerstört, würde einem auch noch ein bisschen Erleichterung verweigert.

Ich kann meine Perspektive mittlerweile verlassen und mich auf die andere einlassen, es fällt mir aber sehr schwer. Aus dieser anderen Perspektive heraus kann ich nachvollziehen, dass eine Forderung nach einer Verbesserung unhaltbarer Zustände, die dann noch immer unhaltbar wären, unverständlich klingt. Das hält allerdings nur so lange an, so lange ich diese Perspektive einnehme. Es ist aber nicht meine Perspektive. Meine Perspektive ist die eines leidenden Individuums. Aus dieser Perspektive sehe ich die Welt und aus dieser Perspektive stellt selbst das kleinste Reförmchen eine Verbesserung dar, wenn die aktuellen Rahmenbedingungen kein Ende der Situation ermöglichen. Sei es, weil die Gesetzeslage es nicht zulässt oder der Täter zu mächtig ist.

Diese Vergleiche sind also nicht nur nicht stimmig, es kommt zudem nicht unbedingt an, was überhaupt gemeint ist. Ich dachte, es ginge um eine „Alles-oder-nichts“ Politik und dass mit diesen Beispielen tatsächlich gemeint wäre, dass es aus diesem Grund egal wäre, wie oft man vergewaltigt wird und dass die betreffenden Personen mit solchen Aussagen aufzeigen wollen, wie kompromisslos und hart sie sind.[11]

Nun könnte der Einwand kommen, dass ich das eben missverstanden hätte und dass es nicht so gemeint sei. Aber dieses „Missverständnis“ ist im Vergleich selbst angelegt. Vor allem sollte zu bedenken geben, dass es in einer Bewegung, die sich wesentlich auf Empathie und Mitgefühl beruft, über mehrere Jahre nicht möglich war, dieses Missverständnis aufzuklären. Dies war erst möglich, nachdem ich mich als Betroffene offenbart hatte und das tat ich auch erst, nachdem ich nach einem Vorfall in einem Internetforum völlig aufgelöst war. 

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Kleiner Exkurs in die Moralphilosophie

Kleiner Exkurs in die Moralphilosophie

Im August 2013 hörte ich erstmals, dass diese „starre Haltung“ bei Einigen moralphilosophisch begründet sei. Darüber war ich sehr erstaunt, da ich mir nie und nimmer hätte vorstellen können, dass sich diese Haltung moralisch legitimieren ließe. Ich hatte mich nie zuvor mit Moralphilosophie befasst und mich bisher nur oberflächlich in das Thema einlesen können, erschwert durch Texte, die üblicherweise in keiner allgemein verständlichen Sprache verfasst sind. Dennoch fand ich es wichtig, diesen Punkt mit aufzunehmen.

Zur Veranschaulichung, dass Moral absolut gelten muss, werden Vergleiche mit Menschen hergestellt. Beispiele werden nach dem Muster gewählt: Ein moralisches Gesetz gilt absolut. „Nur ein bisschen [Moralisches Gesetz]“ oder „[Moralisches Gesetz] gilt unter bestimmten Bedingungen“ macht keinen Sinn. Gewählt wird ein moralisches Gesetz, das allen sofort einleuchtet. Aufgrund der kulturell eindeutigen Bewertung von Vergewaltigung, wird häufig dieses Beispiel für ein moralisches Gesetz gewählt; wichtig ist nur der Aspekt „ist immer schlecht“. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass einige Hörer_innen (mit Gewalterfahrung) allein durch die Erwähnung traumatisiert werden können. Ebenso wenig berücksichtigt wird, dass die Aussage „nur ein bisschen [Moralisches Gesetz] macht keinen Sinn“ eine zweite Interpretation mit sich bringt, nämlich dass es egal sei, in welchem Maße ein Verstoß stattfindet. Dies ist zwar moralisch richtig (dadurch, dass etwas weniger schlimm ist, wird es nicht „gut“), nicht aber aus der Perspektive der Opfer, was aber nicht interessiert, da nur gezeigt werden soll, dass X moralisch immer schlecht ist und es nicht um Abstufungen im Schlechten geht.
 
Abstrakt ist die Bewertung klar. Reales Leben ist aber nicht abstrakt. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, sondern ganz viele Graustufen. Der Absolutheitsanspruch, dass Vergewaltigung (um bei diesem Beispiel zu bleiben) immer schlecht ist, steht hierbei also überhaupt nicht zur Disposition, sondern wird um die Opferperspektive ergänzt.

Eine Gruppe schreibt auf ihrer Internetseite:

Doch selbst, wider aller Empirie, angenommen es gäbe Anlass zu glauben, dass sukzessiver Tierschutzaktivismus zur Abschaffung von Tierausbeutung führe: Die in einem Tierschutzansatz logisch enthaltene Hinnahme der Ausbeutung als solcher, wäre aus moralischen Gründen zurückzuweisen.“
 
Wenn schrittweiser Tierschutzaktivismus zur Abschaffung der Tierausbeutung führte, dann wäre es nicht nur in höchstem Maße moralisch verwerflich, den Opfern eine Linderung ihres Leids zu verweigern, sondern es wäre geradezu moralische Pflicht, sich für Verbesserungen einzusetzen, solange die Ausbeutung andauert. Dass jene, denen die Verbesserungen zugute kommen, diese Verbesserungen nicht subjektiv als solche wahrnehmen könnten, weil ihnen der Vergleich zur vorherigen, noch schlimmeren Situation fehlt, ist kein Argument gegen Verbesserungen, da Verbesserungen objektiv weniger Leid bedeuten. Zumal dies genau die Argumentationsweise der Ausbeuter_innen ist, dass nämlich Tiere, die die Freiheit nicht kennen, diese nicht vermissen könnten. Dass es im Rahmen von Verbesserungen Negativeffekte geben kann, wie im Falle von Hühnern, die mit Artgenossen in zu kleinen Volieren oder in Boden- oder Freilandhaltung gehalten werden, die nicht genügend Platz und Rückzugsmöglichkeiten bieten und die Tiere zusätzlichem Stress aussetzen, ist klar. Das Problem ist dann aber nicht die Reform als solche, sondern dass diese nicht weit genug geht. Gemeint sind hier tatsächliche Verbesserungen, wie zum Beispiel eine Verkürzung von Transportzeiten
 
Dieses starre Festhalten an Grundsätzen wurde und wird innerhalb der Philosophie allerdings auch als lebensfremd kritisiert. Hier fand ich einen, allgemein verständlichen, Vortrag Adornos aus dem Jahr 1963. In Probleme der Moralphilosophie sagt Adorno:

Theorie, die keine Beziehung zu irgendmöglicher Praxis enthält […], wird entweder wirklich zu einem leeren und selbstgefälligen und gleichgültigen Spiel, oder, noch schlimmer, sie wird zu einem Element der bloßen Bildung, also zu einem toten Wissensstoff, der für uns […] lebendig handelnde Menschen völlig gleichgültig ist. Umgekehrt ist es so, daß Praxis [...], die [...] sich nun einfach selbstständig macht und den Gedanken von sich wegscheucht, herabsinkt zur Betriebsamkeit.“[12]

Abstraktion und Konkretion

(Inhaltswarnung für diesen Abschnitt: Schilderung sexualisierter Gewalt)

Ich vermute, vielen ist nicht wirklich bewusst, worum es bei bei sexualisierter Gewalt geht. Mir sagte jemand, wenn diese Vergleiche genutzt werden, stellten sich die Betreffenden keine konkrete Vergewaltigung vor, sondern sehen das eher abstrakt. Betroffene verbinden damit aber ganz konkrete Bilder, Gefühle und Ängste, den Geruch und Geschmack von Körperflüssigkeiten oder Geräusche (z. B. Stöhnen und Keuchen des oder der Täter, während der Tat).
 
Es geht um unerträglichen Ekel, totale Ohnmacht, Hilflosigkeit und absoluten Kontrollverlust über den eigenen Körper. Totales Ausgeliefertsein an die Willkür einer anderen Person und unbeschreibliche Angst, oftmals Todesangst, völlige Entindividualisierung und Verdinglichung. Ist der Täter eine Vertrauensperson wie Vater, Bruder, Onkel, Freund, bedeutet es darüber hinaus einen ganz massiven Vertrauensmissbrauch. Nicht wenige Betroffene haben eine oder sogar mehrere Selbstmordversuche hinter sich, manche kauen Kaffeebohnen, um den Geschmack von Sperma loszuwerden, andere schrubben ihren Körper mit Drahtbürsten oder waschen sich mit Klorix um den Geruch von Sperma von ihrer Haut zu entfernen. Aber der Geruch hält sich hartnäckig, so als wäre er mit der Haut verschmolzen. 
 
Sexualisierte Gewalt hat viele Formen und beginnt bei gierigen Blicken und anzüglichen Bemerkungen, „zufälligen“ Berührungen (Kinder merken sehr genau, wann eine Berührung nicht in Ordnung ist) und reicht bis zu schwersten körperlichen Misshandlungen. Doch auch vermeintlich „harmlose“ Blicke, Bemerkungen und Berührungen, können bei Betroffenen starke Ängste auslösen, da sie in ständiger Angst leben, dass irgendwann etwas schlimmeres passieren könnte. Sexualisierte Gewalt ist für die Betroffenen immer schlimm und ein massiver Angriff auf die physische und psychische Integrität. Egal in welcher Form sie stattfindet. 

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Mit dem Scheiß leben müssen


Mit dem Scheiß leben müssen

Sexualisierte Gewalt erlebt zu haben, bedeutet nicht nur mit dem Verbrechen und den Folgen leben zu müssen. Es bedeutet sehr häufig auch, damit leben zu müssen, dass die Täter ungestraft davon kommen. Wer an Gott glaubt, kann immerhin noch auf höhere Gerechtigkeit hoffen. Viele finden erst Jahre später den Mut über die Tat(en) zu sprechen oder sie haben das Geschehene so weit verdrängt, dass sie sich erst Jahre oder Jahrzehnte später daran erinnern. Bei sexualisierter Gewalt ist die Beweislage ohnehin schwierig, weil in der Regel nur der Täter und das Opfer anwesend sind. Ist die Tat schon Jahre her, ist es noch schwieriger, da es keine Spuren mehr gibt. Juristisch/rechtsstaatlich ist das Problem aber ohnehin nicht zu lösen. Sexualisierte Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem und kann somit nur gesamtgesellschaftlich gelöst werden. Dennoch bin ich dafür, die Verjährungsfristen für Sexualdelikte aufzuheben, um ein Zeichen zu setzen und Betroffenen die Möglichkeit zu geben den Täter anzuzeigen und Schmerzensgeld einzuklagen.

Der Umgang der Gesellschaft mit dem Thema sexualisierter Gewalt ist geprägt von Widersprüchlichkeit. Sexualisierte Gewalt im allgemeinen und sexualisierte Gewalt an Kindern im Besonderen, werden von der Gesellschaft als die schlimmsten Verbrechen überhaupt angesehen. Für kein anderes Verbrechen wird regelmäßig die Todesstrafe gefordert, nicht einmal für Mord. Bis zum Erbrechen wird wiederholt,Missbrauch bedeutet immer lebenslänglich für die Opfer (wir selbst nennen uns Betroffene oder Überlebende). Auf der anderen Seite wird in den meisten Fällen nicht einmal das mögliche Strafmaß ausgeschöpft, selbst wenn die Tat nicht strittig ist. Ersttäter kommen meist mit Bewährungsstrafen davon, es sei denn, es handelt sich um besonders „schwere Fälle“. Auch der Umgang mit den Überlebenden könnte widersprüchlicher nicht sein. Es gibt nicht genügend Therapeut_innen, die auf sexualisierte Gewalt spezialisiert sind. Ebenso sind viele hilfreiche Therapiemethoden von den Kassen nicht anerkannt. Therapien werden auch nicht unbegrenzt bewilligt, das heißt, es wird erwartet, dass Betroffene innerhalb eines bestimmten Stundenkontingents genesen. Viele Betroffene sind zudem arbeitsunfähig oder verlieren ihre Arbeitsplätze, weil sie zu oft und zu lange krankgeschrieben sind, weil sie sich zum Beispiel für mehrere Monate im Jahr in stationären Therapieeinrichtungen befinden.

Die Empörung über das Verbrechen hält meist nur so lange an, wie die Betroffenen abstrakt und weit entfernt sind. Dringt das Grauen in den persönlichen Nahbereich ein, kommt es häufig zu einer Veränderung. Oftmals setzt ein Beißreflex gegen die Betroffenen ein. Ihr Leid und ihr Elend sind nur so lange bemitleidens- und empörenswert, so lange sie nicht sichtbar sind. Sobald die Betroffenen Namen und Gesichter haben, ist es nicht mehr so schlimm. Die Betroffenen sollen sich nicht „anstellen“, sie sollen sich zusammenreißen. Sie sollen „was machen“ (Therapie). Dieser Satz kommt in der Regel, ohne dass sich zuvor erkundigt wurde, ob die Betroffenen aktuell in Therapie sind. Es wird einfach unterstellt, dass sie nichts „machen“, denn sonst hätten sie ja keine Probleme. Sie sind also selbst schuld. Die Verantwortung wird auf das Opfer übertragen. (Dies sind Beispiele aus dem realen Leben und nicht etwa aus dem Internet, wo die Menschen bekanntlich jede Hemmung verlieren.)

Die Genesung von sexualisierter Gewalt ist nichts, wo man mal eben „was macht“. Der Genesungsprozess dauert meist viele Jahre, Jahrzehnte oder auch ein Leben lang.

Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen

Diese Verbrechen werden, ebenso wie der Massenmord an Tieren, jeden Tag begangen. Überall in Deutschland, mitten unter uns. Doch die Leute wollen es nicht sehen. Sie zeigen lieber mit dem Finger auf andere Länder und echauffieren sich über die dortigerückständige Kultur. Natascha Kampusch, die 1998 als zehnjährige von Wolfgang Priklopil entführt und mehr als acht Jahre lang gefangen gehalten wurde[13] bringt es auf den Punkt:

Diese Gesellschaft braucht Täter wie Wolfgang Priklopil, um dem Bösen, das in ihr wohnt, ein Gesicht zu geben und es von sich selbst abzuspalten. Diese Gesellschaft benötigt die Bilder von Kellerverliesen, um nicht auf die vielen Wohnungen und Vorgärten sehen zu müssen, in denen die Gewalt ihr spießiges, bürgerliches Antlitz zeigt. Sie benutzt die Opfer spektakulärer Fälle wie mich, um sich der Verantwortung für die vielen namenlosen Opfer der alltäglichen Verbrechen zu entledigen, denen man nicht hilftselbst wenn sie um Hilfe bitten.[14]

Kinder, denen sexualisierte Gewalt angetan wird, müssen meist mehrere Erwachsene ansprechen, bis ihnen jemand glaubt[15].

So wandte sich auch Andreas Huckele, ein ehemaliger Schüler der Odenwaldschule, bereits 1998 mit zwei Briefen an den damaligen Leiter der Odenwaldschule und im November 1999 berichtete die Frankfurter Rundschau erstmals über die Vorfälle[16]. Aber erst 2011 wurde das Thema medial aufgegriffen. Ein Jahrzehnt später!

Auch die Sicht auf die Täter verändert sich, sobald sie Gesichter und Namen haben. Josef Fritzl, der seine Tochter 24 Jahre lang in einem Kellerverlies eingesperrt hat[17] ist ein schlechtes Beispiel, weil er jedes Maß gesprengt hat. Bleiben die Täter aber imüblichenRahmen, sieht es anders aus. Nach der Verhaftung Roman Polanskis in der Schweiz[18] gab es viele Prominente, die sich für seine Freilassung einsetzten. Immer wieder fielen Sätze wie: Man darf bei all dem nicht vergessen, dass er ein großer Künstler istoderes ist lange her. Als würde es für die Opfer besser werden, wenn der Täter ein großer Künstler ist und nicht der Klempner von nebenan. Auch die Distanz zu Gerold Becker, dem ehemaligen Direktor der Odenwaldschule und Haupttäter (ihm werden 86 männliche Opfer zwischen 12 und 15 Jahren zugerechnet) [19], ist vielen schwergefallen. Becker gilt bei manchen noch immer alsPapst der Reformpädagogik.

Vergewaltigung - Mythos und Wirklichkeit

Ein weiteres Problem: Ist von Vergewaltigung die Rede, so ist meist das Klischee von Vergewaltigung gemeint. Das heißt eine junge, dem gängigen Ideal von schön entsprechende Frau von „tadellosem Ruf“ (also ohne „ausschweifendes Sexualleben“) wird ohne eigene „Schuld“ (sie war nicht spät abends allein unterwegs, sie trug keinen zu knappen Rock, hat nichts getan, um den Täter zu „provozieren“), Opfer eines fremden Täters. In diesem Fall – und nur dann – ist aus Sicht der Allgemeinheit, tatsächlich allein der Täter verantwortlich. In diesem Fall erfährt das Opfer breite Solidarität und Unterstützung. Dieses Vergewaltigungsklischee kommt in der Realität allerdings kaum vor. Vergewaltigungen werden überwiegend im sozialen Nahbereich verübt oder sind Beziehungstaten. Das macht gerade diesen Vergleich zusätzlich problematisch, da viele Betroffene unter genau dieser Diskrepanz leiden.

Mein erster Versuch das Problem zu thematisieren

Als ich im Herbst 2012 in einem Forum erneut auf einen Vergewaltigungsvergleich (mit Kindern) gestoßen bin, ist mir der Kragen geplatzt und ich habe geschrieben, was ich dabei empfinde. Was dann passierte, war eine 1:1 Reproduktion dessen, was sich innerhalb der „Normalgesellschaft“ abspielt.
Die Antworten auf meinen Beitrag habe ich in wohlwissender Voraussicht nicht gelesen. Eine Bekannte hat nach den ersten Sätzen der ersten Antwort aufgehört zu lesen, weil ihr schlecht wurde. Einige Zeit später beschwerte sich dann eine Person sowohl über den abfälligen Umgang mit dem Thema sexualisierte Gewalt, als auch darüber, dass ich meinen Beitrag ohne Inhaltswarnung geschrieben hatte. Was darauf folgte, habe ich nur bruchstückhaft mitbekommen, weil es für mich nicht auszuhalten war und ich mich hilfesuchend an eine Freundin wandte, der ich in diesem Zusammenhang zum ersten Mal von meiner Vergangenheit erzählte. In einer Antwort auf den Beitrag wurde sich darüber lustig gemacht, dass die Person eine Inhaltswarnung erwartet hat: Es wurde mit “Ach Gottchen“ kommentiert und erklärt, dass man sich nicht mit meinem Standpunkt auseinandersetze, weil ich keine Tierrechtlerin sei (weil ich befürworte, sich auch für Verbesserungen für Tiere einzusetzen und nicht nur das Endziel im Auge habe). Ein anderer Kommentar unterstellte der Person, die mir beigesprungen war sogar, sie sei von Antivegan.

Das ist nichts anderes als die „Konstruktion der anderen“. Wer nicht dazu gehört, dem darf alles angetan werden. Der paternalistische, im Mensch-Tier-Verhältnis kritisierte Ton, wird hier auf den Menschen angewendet. Das „Opfer“ hat willig zu sein. Zwang wird ausgeübt. Das menschliche Opfer kann im Vergleich zum nichtmenschlichen zwar für sich sprechen, aber man will nicht hinhören. Was Betroffene denken und fühlen interessiert nicht, wenn es nicht ins eigene Weltbild passt. Auf diese Weise werden wir Betroffenen erneut entindividualisiert und verdinglicht. Wir werden instrumentalisiert. Wir werden missbraucht. Denn das Leid und das Elend hinter dem Verbrechen, dessen man sich als Verstärker bedient, interessiert nicht. Dennoch glauben einige offenbar, andere mit genau jenem Leid überzeugen zu können. Jenem Leid misshandelter Kinder, dass sie selbst negieren. Das ist verlogene Polemik. 

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