Sexualität,
Gewalt und Männerbilder
Sexualisierte
Gewalt ist in der Wahrnehmung fast ausschließlich männlich. Wer
denkt beim Wort Vergewaltigung nicht an einen männlichen Täter und
ein weibliches Opfer?
In
unserer patriarchal geprägten Gesellschaft wächst kaum ein Mädchen
auf, ohne vor Jungs und Männern als potentiellen Gewalttätern
gewarnt zu werden. Unsere Gesellschaft ist von sexualisierter Gewalt
dermaßen durchseucht, dass wir vieles überhaupt nicht mehr
(bewusst) wahrnehmen, weswegen diese Warnungen in der Regel nicht
hinterfragt werden („Männer sind so“). Ebenso wenig hinterfragt
wird die damit einhergehende Einschränkung der Bewegungsfreiheit
oder auch verbale Belästigungen Klick. Gewisse Orte werden gänzlich oder
zu bestimmten Zeiten gemieden und dies wird als gegeben, als „normal“
hingenommen. Frauen, die sich nicht daran halten, sind ganz schnell
„selber schuld“, wenn ihnen etwas zustößt, anstatt in Frage zu
stellen, wie es sein kann, dass die Hälfte der Bevölkerung in ihrer
Mobilität beschränkt und die Täter aus ihrer Verantwortung
entlassen werden, nur weil Frau zur „falschen Zeit“ am „falschen
Ort“ war. Sexismus und sexualisierte Gewalt werden nicht als
gesellschaftliches Problem wahrgenommen, sondern, bedingt durch die
angeblich aggressive männliche Sexualität, als naturgegeben
hingenommen.
Hier
werden ganz bestimmte Rollen- und Geschlechterklischees vermittelt.
Eine Hälfte der Bevölkerung wird vor der anderen gewarnt, während
die andere Hälfte zum Teil aus der Verantwortung für ihr Handeln
entlassen wird. Männer und männliche Sexualität werden als
potentiell oder tendentiös gewalttätig dargestellt. Die immer
gleichen stereotypen Rollenbilder werden reproduziert: Die Frau als
Opfer des Mannes und der Mann als Opfer seiner Triebhaftigkeit. Was
macht dies mit Frauen und Männern und was macht es mit einer
Gesellschaft insgesamt? Unter welchem Druck stehen Männer, wenn sie
meinen, diesem Männerbild entsprechen zu müssen[20]? Welches Bild
von Sexualität wird vermittelt, wenn diese immer wieder mit Gewalt
in Verbindung gebracht wird? Wir können uns der gesellschaftlichen
Geschlechterverhältnisse und der daraus resultierenden Herrschafts-
und Machtzusammenhänge nicht ohne weiteres entziehen, aber wir
können versuchen gegenzusteuern, in dem wir zum Beispiel auf eine
geschlechtsneutrale Sprache achten. So wie wir Sexismen, Rassismen
und Speziesismen meiden, sollten wir auch auf Geschlechterstereotype
reproduzierende Beispiele und Vergleiche verzichten.
In
seinem Buch „Feindbild Frau“[21] zeigt der Sozialpsychologe Prof.
Rolf Pohl auf, wie entscheidend auch in westlichen Gesellschaften
Frauen ausschließende männliche Initiationsriten und die
gesellschaftliche Abwertung von Frauen, für die kulturelle
Entstehung vorherrschender Männlichkeit und die Verbindung von
Sexualität und Aggressivität, sind.
So
auch Trepper und Barret[22], die untersucht haben, welche Faktoren
eine Familie anfällig für innerfamiliäre sexualisierte Gewalt
machen: Männliche Dominanz über Frauen und Kinder wird in diesen
Familien zumindest stillschweigend toleriert, rigide
Geschlechterrollen gelebt.
Gesellschaften
mit gleichberechtigten Geschlechterverhältnissen sind friedfertiger
als patriarchale oder solche, in denen ein Geschlecht die
Vorherrschaft hat. So sollen die sagenumwobenen Amazonen keineswegs
friedlich, sondern kriegerisch und grausam gewesen sein.[21][23]
Gewalt
und Sprache - „Gefickt werden“
Eine
häufig verwendete, Sexualität und Gewalt verbindende Redensart ist
„gefickt werden“. Die Bloggerin Veganfeminist hat einen sehr
guten Blogeintrag[24] zu diesem Thema geschrieben, in dem sie
beschreibt, wie „ficken“ (im Kontext von „gefickt werden“)
zur Abwertung und Erniedrigung anderer benutzt wird. „Ficken“ als
Synonym für Gewaltausübung. Auch hier werden wieder Rollenklischees
bedient. „Ficken“=Mann=Macht, Stärke, aktiv; „Gefickt
werden“=Frau=Ohnmacht, passiv, hilflos, schwach. Und wieder die
Assoziation Männer und männliche Sexualität seien dominant,
aggressiv, gewalttätig, „böse“.
Gerade
für Menschen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben und die
versuchen ein „normales“ oder vielleicht besser: gesundes
Verhältnis zur Sexualität zu entwickeln, ist es fatal, immer wieder
mit der Verbindung von Sexualität und Gewalt und dem Klischee vom
„bösen Mann“ konfrontiert zu werden. Eigentlich sollten
Sexualität und erzwungene Gewalt[25] doch ganz weit voneinander
entfernt sein. Aber auch für Nichtbetroffene bleiben diese
gewaltvolle Sprache und die ständige Reproduzierung von Stereotypen
nicht ohne Folgen. Wie eingangs erwähnt, haben wir alle bestimmte
Bilder im Kopf, wenn wir von sexualisierter Gewalt sprechen oder
hören und diese manifestieren sich unbewusst.
Der
Mann als Opfer
Fatale
Auswirkungen hat dieses Männerbild auch auf Männer, die Opfer
sexueller Übergriffe oder von Vergewaltigungen wurden, da diese dem
hegemonialen Männerbild diametral entgegenstehen. Der Mann ist als
Opfer nicht vorgesehen. Männer zeigen Vergewaltigungen noch weit
seltener an als Frauen. Die Scham ist noch größer. Männer müssen
sich nicht nur die gleichen erniedrigenden Fragen stellen lassen,
die auch Frauen gestellt werden, sie werden zusätzlich noch als
Männer lächerlich gemacht, ihre Männlichkeit in Frage gestellt,
schließlich erfüllen sie nicht die gesellschaftlichen Erwartungen
von Macht, Dominanz und Stärke. Sie werden in die Rolle der
gesellschaftlich und kulturell unter dem Mann stehenden Frau
gedrängt. „Einem „richtigen Mann“ passiert so etwas nicht.
Die meisten Beratungsstellen bieten Beratung allenfalls noch für
Jungen an. Für erwachsene Männer, die als Kinder sexualisierte
Gewalt erlebt haben, gibt es nur sehr wenige Beratungsstellen.
Beratungsstellen nach dem Vorbild der Frauennotrufe für jene, die
als Erwachsene einen sexuellen Übergriff erlebt haben, gibt es
überhaupt nicht. Die Betroffenen bleiben mit ihrer Not
alleine[26][27].
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