Die
Gewalt von Worten
Als
im Herbst 2012 in der Zeitschrift TIERBEFREIUNG[29] Nr 76 erstmals in
einem Artikel die Opferperspektive[30] (Perspektive der „Gequälten“)
thematisiert wurde, war ich sehr erfreut, dass dieses Thema endlich
aufgegriffen wird. Ein Gegenartikel in der nächsten Ausgabe[31] der
TIERBEFREIUNG machte meine Hoffnung völlig zunichte.
Im
Gegenartikel heißt es unter anderem:
„Möglicherweise ist das Leben vor dem Tod für ein Rind auf ‚der grünen Wiese‘ angenehmer als in Anbindehaltung in einem dunklen, nach Fäkalien stinkenden Stall.“
Offensichtlich
hält die Autorin hält es für möglich, dass es einem Rind
egal wäre, ob es in einem dunklen, stinkenden Stall oder „auf
der grünen Wiese“ steht. Im Weiteren geht es darum, ob und warum
neue Verordnungen zu Käfiggrößen in der Pelztierhaltung „begrüßt“
werden können:
„Dies aber eben
nicht, weil es den Tieren damit besser geht, sondern weil dies
voraussichtlich das Aus für Pelzfarmen bedeuten wird, somit eine
reformistische Idee zu einer abolitionistischen Umsetzung führt. Das
kann in anderen Fällen aber nicht vorausgesetzt werden.“
Das
klingt, als wäre es gleichgültig, wie es den Tieren bis zur real
umsetzbaren Abschaffung ihrer Ausbeutung geht. Tierleid scheint nur
abstrakt oder allenfalls als Randaspekt zu existieren und nur dann
relevant, wenn es darum geht, andere von der Notwendigkeit des
Veganismus zu überzeugen. Das hört sich nach
Stellvertreter_innenpolitik an, bei der die Interessen der
Stellvertreter_innen im Vordergrund stehen und nicht die Interessen
der Vertretenen. Ein Spruch wie beispielsweise: „Ich
setze mich nicht für
größere Käfige ein,
sondern für die
Abschaffung aller Käfige“
ist aus der privilegierten Position von außerhalb des Käfigs leicht
dahin gesagt. Wenn man im Käfig sitzt und dort bis zum Lebensende
nicht mehr raus kommt, sieht die Welt anders aus.
Ich
gehe davon aus, dass der Autorin das Leid der betreffenden Tiere
nicht egal ist und ihr nicht bewusst war, wie ihre Worte aufgefasst
werden können. Ich hatte die Autorin auf ihren Artikel hin
angeschrieben und meine Perspektive geschildert. Eine Antwort erhielt
ich leider nicht. Ob kein Interesse an einem Austausch bestand oder
andere Gründe vorlagen, weiß ich nicht.
Mir
ist bewusst, dass was ich schreibe, auf viele zunächst irritierend
oder vielleicht sogar verstörend wirken kann. Schließlich ist es
ein Dogma, dass es im Sinne der Opfer ist, sich nicht für
Verbesserungen einzusetzen. Folgende Aussage habe ich so, oder
ähnlich, schon oft gehört:
„Ich
sehe nur Erfolge, wenn
Opfer nicht mehr gequält
werden und nicht, wenn
lediglich an der Intensität
des Quälens geschraubt
wird, das Todesurteil aber
unangetastet bleibt. Das
sehe ich einfach aus
Opfersicht und aus dieser
Perspektive wurde nichts
erreicht, solange das
eigene Leben nicht gerettet
wird.“
Das
ist keine Opferperspektive. Wenn das Todesurteil feststeht, wieso
sollte es dem Opfer dann egal sein, ob und in welchem Ausmaß es
zuvor gequält wird? Selbstverständlich macht ein schönes Leben vor
dem Tod, den anschließenden Mord nicht gut oder besser. Die Aussage
aber (und die damit einhergehende Anmaßung), es sei daher egal, ist eine Verhöhnung leidensfähiger Lebewesen.
Ich
möchte nicht für Reformen werben, falls ich dahingehend
missverstanden werde, sondern für eine andere Wahl rhetorischer
Mittel und dafür, das eigene Denken nicht auf die Opfer zu
projizieren. Was die tierlichen Opfer denken, können wir nicht
wissen. Die menschlichen Opfer könn(t)en
für sich selbst sprechen. Sie könn(t)en dies, würde man ihnen mit
der notwendigen Rücksichtnahme und Sensibilität begegnen und würde
man ihnen überhaupt zuhören. Und natürlich, wenn sie persönlich
so weit sind, darüber zu sprechen.
Unterschiedliche
Perspektiven
Wir alle sind unterschiedlich sozialisiert und haben daraus resultierend andere Blickwinkel. Es ist sinnvoller, MITeinander zu reden anstatt ÜBEReinander. Wenn zwei das gleiche sagen, meinen sie noch lange nicht dasselbe. Mein Artikel zeigt, wie sehr und vor allem wie lange Menschen aneinander vorbeireden können. Um andere zu verstehen, ist es hilfreich, sich auf deren Perspektive einzulassen. Das heißt nicht, dass man diese Perspektive einnehmen oder richtig finden muss, aber man kann sie sich wenigstens anschauen. Mir ist das sehr schwer gefallen. Der Austausch mit Nichtbetroffenen war sehr anstrengend. Ich war oft verletzt und wütend, weil die Menschen mich entweder überhaupt nicht oder falsch verstanden haben. In der Vergangenheit hätte das zu Kontaktabbrüchen meinerseits geführt. Ich habe das erstmals ausgehalten und dabei gelernt, wie sehr meine Weltsicht von der Weltsicht Nichtbetroffener abweicht.
Abschließend
Was
ich geschrieben habe, ist in weiten Teilen stark subjektiv,
aber wie ich eingangs schon erwähnte, kenne ich sehr viele andere
Betroffene und deren Situation. Während des Schreibens habe ich zwei weitere Betroffene aus der Bewegung kennengelernt, die es ebenfalls wichtig finden, dass dieses Thema endlich angesprochen wird. Sowohl was diese Vergleiche selbst angeht, als auch die Sichtbarmachung der Opferperspektive. Wenn ich vom "Total Liberation"-Ansatz ausgehe - für die Befreiung von Mensch und Tier -, dann darf ich mich als menschliches Gewaltopfer durchaus angesprochen fühlen und zu Wort melden. Doch selbst wenn das alles nur mich
beträfe, besteht noch immer das Problem der gewaltvollen,
Geschlechterstereotype reproduzierenden Sprache, die in einer sich als
emanzipatorisch begreifenden Bewegung, die neben dem Mensch-Tier-
auch das Geschlechterverhältnis in Frage stellt, befremdlich wirkt.
Mein
Anliegen ist für das Thema zu sensibilisieren und das Bewusstmachen, was in bester Absicht vorgetragene Vergleiche, bei
Betroffenen ungewollt anrichten können.
Die
genannten Vergleiche sind auf verschiedenen Ebenen problematisch.
Allein das Wort Vergewaltigung kann auf Betroffene traumatisierend
wirken. Dann der zum Teil unreflektierte, gedankenlose Umgang mit dem
Thema sexualisierte Gewalt und die Anmaßung, für andere zu
sprechen, obwohl (bei menschlichen Gewaltopfern) die Möglichkeit
besteht, nachzufragen, wie sie das sehen. Und schließlich die
bisherige Praxis der völligen Ausblendung der Opferperspektive die
auf menschliche Betroffene grausam und kalt wirken kann.
Ich
persönlich würde mich am meisten von jenen vertreten
fühlen, die einerseits alles tun, um das Übel abzuschaffen und sich
gleichzeitig dafür einsetzen, das Leid im Hier und Jetzt zu
verringern. Ich empfinde das keineswegs als Legitimierung der
Ausbeutung und erst recht sehe ich darin keinen Widerspruch, sondern
eine logische Konsequenz und realistische
Einschätzung der Handlungsmöglichkeiten unter den aktuellen
Rahmenbedingungen (im Kapitalismus). Alles andere wäre für mich
Verrat, solange unklar ist, ob Reformen zur Abschaffung von
Ausbeutung führen, die Abschaffung verhindern oder verlangsamen. Es
gibt keine Forschung zum Thema, nur Vermutungen und Behauptungen,
aber nichts Empirisches. Sollte sich herausstellen, oder zumindest
vieles darauf hindeuten, dass Reformismus dem Erreichen der
Abschaffung tatsächlich hinderlich ist, würde ich mich dem nicht
verweigern. So wie ich keine Tiere aus Zoohandlungen freikaufe, um
sie zu „retten“, weil klar ist, dass ich so einen Anreiz für
Züchter_innen schaffe, immer mehr Tiere zu „produzieren“. Mir
ist aber bewusst, dass ich diese Entscheidung aus der privilegierten
Position des Nichtbetroffenseins heraus fälle.
Durch
das Bestehen auf Meinungshomogenität und Definitionshoheit über
Sinn oder Schaden von Reformen, die an keiner Stelle belegt oder
bewiesen werden können, werden Menschen abgewertet und
ausgeschlossen. Davon abweichende Meinungen werden als der Bewegung
schadend und diese verwässernd dargestellt und zumeist umgehend
unterbunden und als falsch bezeichnet. Sich auch – nicht
ausschließlich – für Verbesserungen im Hier und jetzt
einzusetzen, wird mit mangelnder Konsequenz gleichgesetzt, obwohl kein Zusammenhang besteht. Ich kann das Mensch-Tier-Verhältnis radikal in Frage
stellen und mich dennoch für Verbesserungen einsetzen.
Eine
von vielen Betroffenen sexualisierter Gewalt
Danke
an Mizz, Tina, Janis und Emil fürs Gegenlesen und Hilfe beim
Strukturieren.