Ich spreche ausschließlich von „Tätern“. Mir ist bewusst, dass auch Frauen sexualisierte Gewalt ausüben und dies weit häufiger als angenommen. Der prozentuale Anteil ist allerdings so gering, so dass die Realität verzerrt würde, spräche ich von Täter_innen.

Mir ist die damit einhergehende Problematik bewusst, dass sich einige, die Gewalt durch Frauen erlebt haben, unsichtbar fühlen können.
Ich bin mit der jetzigen Lösung auch nicht wirklich zufrieden, sie erschien mir aber als das kleinere Übel.

Sonntag, 12. Januar 2014

Die Gewalt von Worten


Die Gewalt von Worten

Als im Herbst 2012 in der Zeitschrift TIERBEFREIUNG[29] Nr 76 erstmals in einem Artikel die Opferperspektive[30] (Perspektive der „Gequälten“) thematisiert wurde, war ich sehr erfreut, dass dieses Thema endlich aufgegriffen wird. Ein Gegenartikel in der nächsten Ausgabe[31] der TIERBEFREIUNG machte meine Hoffnung völlig zunichte.

Im Gegenartikel heißt es unter anderem:

Möglicherweise ist das Leben vor dem Tod für ein Rind aufder grünen Wieseangenehmer als in Anbindehaltung in einem dunklen, nach Fäkalien stinkenden Stall.

Offensichtlich hält die Autorin hält es für möglich, dass es einem Rind egal wäre, ob es in einem dunklen, stinkenden Stall oder „auf der grünen Wiese“ steht. Im Weiteren geht es darum, ob und warum neue Verordnungen zu Käfiggrößen in der Pelztierhaltung „begrüßt“ werden können:

Dies aber eben nicht, weil es den Tieren damit besser geht, sondern weil dies voraussichtlich das Aus für Pelzfarmen bedeuten wird, somit eine reformistische Idee zu einer abolitionistischen Umsetzung führt. Das kann in anderen Fällen aber nicht vorausgesetzt werden.“

Das klingt, als wäre es gleichgültig, wie es den Tieren bis zur real umsetzbaren Abschaffung ihrer Ausbeutung geht. Tierleid scheint nur abstrakt oder allenfalls als Randaspekt zu existieren und nur dann relevant, wenn es darum geht, andere von der Notwendigkeit des Veganismus zu überzeugen. Das hört sich nach Stellvertreter_innenpolitik an, bei der die Interessen der Stellvertreter_innen im Vordergrund stehen und nicht die Interessen der Vertretenen. Ein Spruch wie beispielsweise: Ich setze mich nicht für größere Käfige ein, sondern für die Abschaffung aller Käfige ist aus der privilegierten Position von außerhalb des Käfigs leicht dahin gesagt. Wenn man im Käfig sitzt und dort bis zum Lebensende nicht mehr raus kommt, sieht die Welt anders aus.

Ich gehe davon aus, dass der Autorin das Leid der betreffenden Tiere nicht egal ist und ihr nicht bewusst war, wie ihre Worte aufgefasst werden können. Ich hatte die Autorin auf ihren Artikel hin angeschrieben und meine Perspektive geschildert. Eine Antwort erhielt ich leider nicht. Ob kein Interesse an einem Austausch bestand oder andere Gründe vorlagen, weiß ich nicht.

Mir ist bewusst, dass was ich schreibe, auf viele zunächst irritierend oder vielleicht sogar verstörend wirken kann. Schließlich ist es ein Dogma, dass es im Sinne der Opfer ist, sich nicht für Verbesserungen einzusetzen. Folgende Aussage habe ich so, oder ähnlich, schon oft gehört:

Ich sehe nur Erfolge, wenn Opfer nicht mehr gequält werden und nicht, wenn lediglich an der Intensität des Quälens geschraubt wird, das Todesurteil aber unangetastet bleibt. Das sehe ich einfach aus Opfersicht und aus dieser Perspektive wurde nichts erreicht, solange das eigene Leben nicht gerettet wird.

Das ist keine Opferperspektive. Wenn das Todesurteil feststeht, wieso sollte es dem Opfer dann egal sein, ob und in welchem Ausmaß es zuvor gequält wird? Selbstverständlich macht ein schönes Leben vor dem Tod, den anschließenden Mord nicht gut oder besser. Die Aussage aber (und die damit einhergehende Anmaßung), es sei daher egal, ist eine Verhöhnung leidensfähiger Lebewesen.

Ich möchte nicht für Reformen werben, falls ich dahingehend missverstanden werde, sondern für eine andere Wahl rhetorischer Mittel und dafür, das eigene Denken nicht auf die Opfer zu projizieren. Was die tierlichen Opfer denken, können wir nicht wissen. Die menschlichen Opfer könn(t)en für sich selbst sprechen. Sie könn(t)en dies, würde man ihnen mit der notwendigen Rücksichtnahme und Sensibilität begegnen und würde man ihnen überhaupt zuhören. Und natürlich, wenn sie persönlich so weit sind, darüber zu sprechen.

Unterschiedliche Perspektiven

Wir alle sind unterschiedlich sozialisiert und haben daraus resultierend andere Blickwinkel. Es ist sinnvoller, MITeinander zu reden anstatt ÜBEReinander. Wenn zwei das gleiche sagen, meinen sie noch lange nicht dasselbe. Mein Artikel zeigt, wie sehr und vor allem wie lange Menschen aneinander vorbeireden können. Um andere zu verstehen, ist es hilfreich, sich auf deren Perspektive einzulassen. Das heißt nicht, dass man diese Perspektive einnehmen oder richtig finden muss, aber man kann sie sich wenigstens anschauen. Mir ist das sehr schwer gefallen. Der Austausch mit Nichtbetroffenen war sehr anstrengend. Ich war oft verletzt und wütend, weil die Menschen mich entweder überhaupt nicht oder falsch verstanden haben. In der Vergangenheit hätte das zu Kontaktabbrüchen meinerseits geführt. Ich habe das erstmals ausgehalten und dabei gelernt, wie sehr meine Weltsicht von der Weltsicht Nichtbetroffener abweicht.

Abschließend

Was ich geschrieben habe, ist in weiten Teilen stark subjektiv, aber wie ich eingangs schon erwähnte, kenne ich sehr viele andere Betroffene und deren Situation. Während des Schreibens habe ich zwei weitere Betroffene aus der Bewegung kennengelernt, die es ebenfalls wichtig finden, dass dieses Thema endlich angesprochen wird. Sowohl was diese Vergleiche selbst angeht, als auch die Sichtbarmachung der Opferperspektive. Wenn ich vom "Total Liberation"-Ansatz ausgehe - für die Befreiung von Mensch und Tier -, dann darf ich mich als menschliches Gewaltopfer durchaus angesprochen fühlen und zu Wort melden. Doch selbst wenn das alles nur mich beträfe, besteht noch immer das Problem der gewaltvollen, Geschlechterstereotype reproduzierenden Sprache, die in einer sich als emanzipatorisch begreifenden Bewegung, die neben dem Mensch-Tier- auch das Geschlechterverhältnis in Frage stellt, befremdlich wirkt.

Mein Anliegen ist für das Thema zu sensibilisieren und das Bewusstmachen, was in bester Absicht vorgetragene Vergleiche, bei Betroffenen ungewollt anrichten können.

Die genannten Vergleiche sind auf verschiedenen Ebenen problematisch. Allein das Wort Vergewaltigung kann auf Betroffene traumatisierend wirken. Dann der zum Teil unreflektierte, gedankenlose Umgang mit dem Thema sexualisierte Gewalt und die Anmaßung, für andere zu sprechen, obwohl (bei menschlichen Gewaltopfern) die Möglichkeit besteht, nachzufragen, wie sie das sehen. Und schließlich die bisherige Praxis der völligen Ausblendung der Opferperspektive die auf menschliche Betroffene grausam und kalt wirken kann.

Ich persönlich würde mich am meisten von jenen vertreten fühlen, die einerseits alles tun, um das Übel abzuschaffen und sich gleichzeitig dafür einsetzen, das Leid im Hier und Jetzt zu verringern. Ich empfinde das keineswegs als Legitimierung der Ausbeutung und erst recht sehe ich darin keinen Widerspruch, sondern eine logische Konsequenz und realistische Einschätzung der Handlungsmöglichkeiten unter den aktuellen Rahmenbedingungen (im Kapitalismus). Alles andere wäre für mich Verrat, solange unklar ist, ob Reformen zur Abschaffung von Ausbeutung führen, die Abschaffung verhindern oder verlangsamen. Es gibt keine Forschung zum Thema, nur Vermutungen und Behauptungen, aber nichts Empirisches. Sollte sich herausstellen, oder zumindest vieles darauf hindeuten, dass Reformismus dem Erreichen der Abschaffung tatsächlich hinderlich ist, würde ich mich dem nicht verweigern. So wie ich keine Tiere aus Zoohandlungen freikaufe, um sie zu „retten“, weil klar ist, dass ich so einen Anreiz für Züchter_innen schaffe, immer mehr Tiere zu „produzieren“. Mir ist aber bewusst, dass ich diese Entscheidung aus der privilegierten Position des Nichtbetroffenseins heraus fälle.

Durch das Bestehen auf Meinungshomogenität und Definitionshoheit über Sinn oder Schaden von Reformen, die an keiner Stelle belegt oder bewiesen werden können, werden Menschen abgewertet und ausgeschlossen. Davon abweichende Meinungen werden als der Bewegung schadend und diese verwässernd dargestellt und zumeist umgehend unterbunden und als falsch bezeichnet. Sich auch – nicht ausschließlich – für Verbesserungen im Hier und jetzt einzusetzen, wird mit mangelnder Konsequenz gleichgesetzt, obwohl kein Zusammenhang besteht. Ich kann das Mensch-Tier-Verhältnis radikal in Frage stellen und mich dennoch für Verbesserungen einsetzen.


Eine von vielen Betroffenen sexualisierter Gewalt


Danke an Mizz, Tina, Janis und Emil fürs Gegenlesen und Hilfe beim Strukturieren.